Donnerstag, 21. Oktober 2010

mindless.

Nicht selten klingt in politischen Kontexten das Wort Nachhaltigkeit.
Ob in der Atompolitik, der Umweltpolitik oder in wirtschaftspolitischen Debatten. Der Punkt Nachhaltigkeit, also die Tatsache, dass Ressourcen nicht über ihr Limit verbraucht werden, sodass zukünftige Generationen ihre Bedürfnisse befriedigen können, gerät seit der Popularität umweltpolitischem Engagements in die Mühle jeglicher Diskurse. Auch wenn man das Thema unmittelbar mit umweltpolitischen Entwicklungen konnotiert, kann ebenso die Frage gestellt werden, inwiefern wir auf freundschafts-kommunikativer Ebene an die Nachhaltigkeit denken. Wie sieht sie aus, die heutige Bedeutung von Freundschaft? Ist sie ein temporär angelegter Akt des sozialen Handelns, oder rutscht sie aufgrund zahlreicher Modernisierungstendenzen in einen Korb der wohlbehüteten Pflege? Sind heutige „Freundschaften“ darauf ausgelegt, Verknüpfungen über Generationen zu machen? Mit welchen (womöglich unbewussten) Zielen gehen wir an Freundschaften heran in einer Zeit des Networkings? Und wie vertretbar ist die Verknüpfung zwischen Intendiertem und Sozialem?
Fest steht: Wir leben in einer Zeit absoluter Massenmedien und Kommunikation. Wir kommunizieren allerorts. Simsen, bloggen, twittern. In dieser Dauerbeschallung gestalten wir; wir formen und beeinflussen, geraten jedoch potzblitz aus dem Schleier gemeinsamer Verbindung, wenn wir uns technischer Raffinesse entsagen. Vielleicht sind wir eine Wanderhorte, die sich selbst kasteit und doch immer weiter schreitet, weil uns die Neugierde treibt. Aber begeben wir uns in den Strudel, weil uns die Mittel zur Verfügung stehen, oder ist dies die Antwort auf die Erkenntnis, dass sie wohl nahezu die einzige Chance überhaupt sind zu kommunizieren und Kontakte zu pflegen?
Letztens nach einer Party hatte ich von drei mir nicht gänzlich unbekannten Mitmenschen Freundschaftsanfragen bei Facebook. Ein wenig verärgert über ihren so schnellen Versuch der Freundschaftsanbahnung, ignorierte ich sie. Gleichsam stelle ich fest: Je mehr Freundschaftseinladungen abgeschickt werden, desto weniger habe ich das Interesse auch wirklich auf den „akzeptieren“-Button zu klicken. Ein inflationärer Gebrauch dieser Einladungsaktion ist keine Seltenheit. Und mein übermäßiges Ablehnen ebenso wenig. Einige Mitmenschen von mir haben sich in der virtuellen Welt eine zweite Identität angelegt. Sie nenne es nicht so. Aber die Tatsache, dass sie sich im Internet konstruieren, darstellen und – oftmals – nahezu ganztäglich aufhalten legt nahe, dass sie einen zweiten Teil des Ich konstituieren.
 Müssen wir uns eine Welt konstruieren abseits der Realität? Brauchen wir einen Parallelort, um der rasenden Entwicklung entgegenzutreten? Um abzuschalten? Oder um in diesem Fluchtpunkt Eindrücke, die wir sammeln, aufzuarbeiten und zu verarbeiten?
Auf Facebook habe ich um die hundert Freunde. Ich „kenne“ jeden und muss zugeben: ich kenne sie alle und doch nur die wenigsten genau. Ich gebe zu: Mich interessieren Beziehungen, Aktivitäten, Verabredungen. Ich gebe zu, mich interessiert: Who says what in which channel to whom with what effect?
Ich gebe zu, dass die meisten Kontakte, die wir eingehen,  von oberflächlicher Natur sind. Wir gehen auf Partys, Konzerte. Besuchen Lesungen und andere kulturelle Veranstaltungen, weil uns dank moderner Technik nur noch das wenigste an (Ausgeh-)Informationen entgeht. Wir leben nicht mehr in einer abgeschlossenen Blase, sondern bewegen uns vielmehr in einem offenen, dynamischen Raum, der es uns ermöglicht, Angebote wahrzunehmen oder abzulehnen.
Vielleicht ist es gerade dieser Punkt: Die Bewegungsfreiheit, das partielle Missen von reglementierenden Schranken und Barrieren führt in einen Zustand des  Verarbeiten.
Vielleicht fühlen wir uns ohnmächtig. Und vielleicht ist es die Maße, die es einem erschwert, nachhaltige Kontakte einzugehen. Das, was allerdings unvermeidlich ist, ist die Tatsache, dass wir vertrauenswürdige Menschen um uns herum benötigen, um das auszuführen, was uns als Menschen ausmacht: Das sozial Handeln.                                                                                                                                                      

Donnerstag, 30. September 2010

Tausendsassa.


Dass Kleider Leute machen denkt man sich oftmals im Großstadtgefüge. Abgesehen von der aufflammenden Biedermeierkultur und dem Wunsch nach stützenden Werten, ist das Leben, wie schon in Kleists Novelle dargestellt, eine aus Ereignissen bestehende Landschaft, ein Gewühl aus Erwartungen, Unklarheiten, Verwechslungen. Kurz: Ein Soziotop, das nicht nur lebt von realem Tun, sondern vor allem von künstlich Stilisiertem.Wir kennen das Reale in unmittelbarem Umfeld – und strecken uns  nach dem Hauch des eigentlich Ungreifbaren, weil er im guten alten American Dream Denken womöglich gar nicht so weit weg ist.
Die amerikanische Marke American Apparel (AA) ist so ein Fall, in welchem Schein und Sein wie ein Möbiusband miteinander verknüpft sind. Das Unternehmen und seine Geschäftsphilosophie des American Way of Living samt Attributsiegel „freiheitsliebend, szeneaffin, einzigartig“, hat seit seiner Geschäftsgründung im Jahr 1997 unzählige Anhänger. Ob in New York, Paris oder London – auf den Straßen der Welt tummeln sich Junge wie Alte in den für AA so typischen Schnitten. Die Marke ist dort zu sehen, wo kreative Köpfe werkeln und Arbeit und Lifestyle ineinander übergehen.
AA steht für Fairness innerhalb des martialischen Uhrwerks namens Kapitalismus. Sweatshopfreie Kleidung, faire Löhne, Umweltschutzengagement oder Partizipation in der Immigrantenpolitik.
Es gibt kaum einen Bereich, in dem das Unternehmen nicht seine Kultur verankert. Ein fairer Riese also?
Dreh – und Angelpunkt des Lifestylekonglomerates ist Gründer Dov Charney. Der Terry Richardson Verschnitt steht für die Lockerheit und Dynamik der Globalisierung. Gekürt als Unternehmer des Jahres, expandierte seine Modemarke in über 19 Länder. Charney katapultierte AA mit seiner Mischung aus ethischem Bewusstsein und kalkulierter Unternehmergier in die Zone  eines zukunftsfähigen Moderiesens.
Doch der sonst so soziale Unternehmer Charney hat seit jeher noch einen anderen Ruf. Bereits mehrmals wurde Charney wegen sexueller Belästigung  von Mitarbeiterinnen angeklagt, weil sein Hang zur liberalen Sexualmoral innerhalb des Unternehmens – unter anderem der öffentlichen Masturbation – auf Grenzen stieß. Hinter den Kulissen in L.A. hängt die Glücksfeder also längst nicht mehr, die Fassade bröckelt seit geraumer Zeit. Steigende Preise, kaum Saleangebote, und die nicht wenig kursierende Meinung, dass AA zu sehr in den Mainstream abrutscht. Doch vor allem, weil die Gründerfigur nun existenzielle Probleme hat: Das Konstrukt American Apparel steht in den Miesen. Wie diverse Zeitungen bereits vor ein paar Wochen berichteten, sei die Liquidität des Unternehmens für die nächsten zwölf Monate womöglich nicht gewährleistet. Von dem im Jahr 2009 erwirtschafteten Umsatz von rund 560 Millionen Dollar blieb nur ein Gewinn von einer Millionen Dollar. Hat Mister Charney sein Prestigeobjekt gegen die Wand gefahren? Hat er das Konstrukt American Apparel zu sehr ausgereizt, und dem ökonomischen Zeitlauf mit geschlossenen Augen den Rücken gekehrt?
In „Kleider machen Leute“ findet Schneidergeselle Strapinski sein Glück.
„Wer sind Sie?“ „Ich bin nicht ganz so, wie ich scheine!“
Und hier haben wir es wieder, das Wort Konstrukt.

Mittwoch, 29. September 2010

Mongolensturm.

"Wir haben keine Zeit für Feminismus.
Wir müssen uns um Gleichberechtigung kümmern."





 all by Mareike Günsche, Hamburg

Samstag, 18. September 2010

weitwärts.


Einbahnstraßen. Lauter Trassen Dynamit. Fehlende Leuchtkegel, abgegraste Pflichtphrasen und insgeheim die Erkenntnis, dass Yann Tiersen eindeutig impulsivere Reize vermittelt als eine uniformierte Gefolgschaft a la „Raupe Nimmersatt“.
Was die letzten Tage vor sind hin dämmerte im blassen grün einer insellosen Hysterie, war weit mehr als nur eine zarte Welle fehlgeleiteter Informationen und lautstarker Kapriolen.
Es ist nicht nur das schwungvolle S – Terzett gewesen, das die Region aufschreckte. Nein. Auch ihre Kollegen hüllten sich in den Tempowechsel des Herbsts. Ähnlich wie ein Fest politischer Blütenrhetorik.
Es war eine Woche, die sich unter dem Schlagwort Kommunikationsoase unter Wert verkauft hätte.
Eine Woche „kleinlauter“, devoter, unliebsamer, und überaus mangelhafter Kommunikation.
Grünes Urgestein Claudia Roth schwört der Koalition „einen heißen Herbst“, Renate Künast präludiert auf einem Regenbogenfamilienfest in der Hauptstad Melodien, die zusammenschweißen („Familie ist, wo Menschen für einander Verantwortung übernehmen“), Gysi kritisiert das Vorgehen des Verfassungsschutzes und konsterniert: „Dieses Bundesamt steckt noch im Kalten Krieg.“ Und auch Arbeitsministerin von der Leyen zögert nicht beim Griff in die verkapselte Wortkiste. Ginge es nach ihr, spräche man nicht vom bereits Kultcharakter angenommenen Hartz-Begriff (Zitat: „Und was machst du?“ „Ich hartze!“), sondern vom Neutralität ausstrahlenden Basisgeld. Vielleicht sollten Bildungsgutscheine lieber unter dem Namen temporärer Bildungszusatz oder freiwillige Bildungstransaktion geführt werden.
Kommunikation und Rhetorik erfordern eine wachsame Aufnahme vom Rezipienten. Und wie schon Rilke und Brecht feststellten, können sie gefährlich sein und stellen bei Missbrauch (der rhetorischen Mittel) nicht nur den institutionellen Gewaltapparat infrage, sondern den Verstand des Zuhörers.
Ohne auf die Prämisse des angestrebten eigenen Vorteils zu achten, können Floskeln von Unternehmern, Politikern oder weiteren Mitmenschen nicht aufgenommen und verarbeitet werden. Im Gegenteil. Die von höheren Instanzen eingeleitete Kommunikation gleicht einem bereits fertig gewebten Netz, welches je nach Gesprächspartner ausgeweitet wird. Diese prinzipiell vorgefertigte Struktur befördert das, was Umfragewerte eines Politikers von dem einen auf den anderen Moment umschlagen lassen: Fehlende Authentizität.
Doch da gerade die Rede von Unternehmen war. Außenminister und Parteigröße Guido Westerwelle ist seiner Pflicht nachgekommen und äußerte sich zu den heutigen Parlamentswahlen in Afghanistan. Erkenntnisreicher hätte seine Analyse nicht ausfallen können. Weise sprach er ins Mikro: „Wahlen, wie wir sie in Mitteleuropa kennen, werden es nicht geben.“ Seine ebenso angesprochene „Aussöhnung und Reintegration“ erscheint jedoch fragwürdig. Den extremistischen Taliban, die für eine strikte Scharia ohne Modernisierung und zeitgenössische Koraninterpretation stehen, können in einer vom Westen angekarrten Demokratieblase nicht bestehen.
Doch alles in allem hilft nach Drahtseilphrasen weder das Pflichtpardon, noch der scheue Blick zur Seite.
Zum Fremdschämen kann man hier und da auch öffentlich Stellung beziehen.