Dienstag, 7. Oktober 2008

We are the girl from the tube



Der Wagon rattert. Das schallende Quietschen, das aus den offenen Fenstern in das Abteil dringt, übertrumpft jeglichen zaghaften Versuch, die Stimme zu heben. 
Die Röhre, durch die wir hindurch gezogen werden, wirkt gefräßig; dunkel und kalt saugt sie uns auf und gibt uns wieder Preis. 
Auf dem mit Graffiti verzierten Sitz hat sie Platz genommen.
Das grelle Licht der Leuchtreklame taucht die Wangen in ein dunkles Lila.
Ihre Beine wirken ein wenig zu lang, fast schon spinnenartig, aber in ihrem leicht verdeckten Gesicht ist eine gewisse Zartheit zu erkennen.

Ich fahre diese Strecke oft, wenn ich alleine sein möchte, außerhalb von Stadt und Menschen und außerhalb von dem Druck, den ich immer häufiger zu spüren bekomme.

Dann bricht sie ab, atmet laut und nimmt einen Schluck aus ihrer Flasche.

Es gibt eine Pflicht, die ich erfüllen sollte, um allen gerecht zu werden; die Pflicht Schulisches zu meistern, nicht alleine da zu stehen. Es ist ein schwieriges Unterfangen mit der Masse an Erwartungen zurechtzukommen. Schließlich gibt es auch die eigene Person.

Die schwüle Luft an diesem Abend hat sich wie ein Schleier auf den Boden niedergelassen, die Fahrenden wirken müde, zwei sitzen und schweigen, nur selten wird geredet.
Das ist sie also, die Jugend. Der hoffnungsvolle Nachwuchs in einer globalisierten und Konsum fixierten Burg namens Gesellschaft.
                                                      
In der U-Bahn gibt es nur sie. Und sie hat nicht Unrecht, wenn sie sagt, hier käme sie zur Ruhe, denn zu dieser Stunde befinden sich nur Wenige auf dem Weg ins Nirgendwo.
Wir schließen die Augen, spüren den Fahrtwind auf unserer Haut. Vielleicht hat dieses Ritual wirklich einen reinigenden Effekt. Eine Katharsis für gestresste Weltenbummler. Die Welt zu sehen ist schließlich in der heutigen Zeit kein kräftezerrender Akt mehr.

Die Schwierigkeit besteht darin: So zu sein, wie andere es von dir erwarten und so, wie du eigentlich erscheinen möchtest. Ich kenne einige, die dies machen. Sich verstellen, damit sie als besonderer Mensch angesehen zu werden. Heutzutage ist doch vieles ähnlich und nahezu jeder trichtert dir ein: Du musst aus der Masse heraus stechen. Und dann heißt es wieder: Diese karrieregeile Jugend. Aber anscheinend denkt niemand an das Warum.

Unweigerlich fällt uns Brechts Guter Mensch von Sezuan ein.

Finanzminister Steinbrück sprach einmal offen: „Wir wollen alle für 19 Euro nach Malle fliegen. Wir wollen einen DVD-Player haben für 39,95. - Das muss man sehen. Das sind die Vorteile dieser Globalisierung.“ Wir wollen sein Gesagtes nicht verneinen. Aber was geschieht, wenn trotz materiellem „Wohlbefinden“ das Innere keine Befriedigung findet?

Natürlich möchte ich etwas erreichen. Schon im Verwandtschaftkreis wird doch regelmäßig untereinander ausgetauscht, was der oder die geschafft und erreicht hat. Aber Erfolg muss nicht immer etwas mit Geld und Prestige zu tun haben. Erfolg ist für mich vor allem Zufriedenheit. Zufriedenheit im Leben, mit dir selber. Erfolg macht nicht glücklich. Ich bin der Meinung, dass erst Zufriedenheit Glück ermöglicht.

In diesem Konglomerat aus Worten und dem rhythmischen Klacken der Türen beginnt das Nachdenken wie von alleine. Das ist also die Jugend: Eine aus Musik und Technik geformte, dünnhäutige Einheit. Eine, die zwischen Lärm und Leistung auch ihr eigenes Wettrennen um Klicks und Freundschaften im virtuellen Raum ausgelöst hat. Vielleicht könnte gesagt werden, dass sich die Jugend erdrückt fühlt. Erdrückt und zerstückelt von hinaufprasselnden Eindrücken und Veränderungen. Denn sie hat in einem drehenden Karussell Platz genommen, dass immer höher gen Himmel zieht, immer schwieriger zu verfolgen ist.
Die Zerrissenheit ist es, die viele Jugendlichen auf dem Weg durch den Alltag begleitet.
Die Wichtigkeit von Abschluss und Noten rückt immer weiter in den Vordergrund.
Und somit nimmt automatisch die Kluft zwischen den Leistungen zu.
Demotivation und Frust, wenn es nicht so klappt wie bei anderen, ist hierbei ein großes Problem. Manche sind der Meinung, dass sich der mediale Überfluss positiv auf ihre Entwicklung auswirke; andere wiederum fühlen sich erschlagen, und sehen keine Identitätsfördernde Chance in neuzeitlichen Medien.

Es kommt eben immer darauf an, wie du das alles handhabst und was du für ein soziales Netzwerk um dich herum hast. Ich mache mir da keine Illusionen. Netzwerke wie Studivz oder Myspace fördern ein falsches Gefühl von Beliebtheit und sozialer Sicherheit.
Wo sind denn alle deine Bekanntschaften, wenn du einmal nicht mehr online kommst?
Jeder selektiert irgendwann. Natürlich muss nicht jede Bekanntschaft in einer Freundschaft münden. Früher dachte sich das. Aber ich mag Intimität und Ruhe.
Wie soll ich die bekommen, wenn ich zeitgleich mit fünf anderen schreibe?



Ein gesundes soziales Umfeld ist mehr als wichtig geworden. Wenn die Welt hier in der Bahn für einige Minuten stehen zu bleiben scheint, läuft sie oben ohne Unterbrechung weiter. Der Kapitalismus geht überall seinen Weg; mit ihm und dessen Entwicklung sollte die Jugend umzugehen lernen. Ein gesunder Freundeskreis vermag Enttäuschungen aufzufangen.
Als wir an die Oberfläche treten, ist es ruhig auf den Straßen. Vereinzelt werden Lichter gelöscht, wir baden in einem Meer aus Straßenlaternen. Da die Welt an Schnelligkeit und Hektik zugenommen hat, neigen wir dazu, Ruhe zu suchen und trotzdem nicht einsam sein zu wollen. Wir laben uns an einer temporären Sicherheit, die wie eine Blase zerplatzen kann. Und trotzdem schläft man Abend für Abend alleine ein. Wie der Partner neben einem.  
Mit diesen emotionalen und existenziellen Unsicherheiten trennen wir uns schließlich. Morgen ist ein neuer Tag. Ein Tag, an dem in machen Stunden viele Menschen daran zweifeln, ob es alles so richtig ist, was in der Welt entschieden wird. 

Ich glaube wir sollten uns klarmachen, dass wir alle miteinander und nicht gegeneinander leben. Und auch, wenn sich Kommunikation und Verhalten verändert haben, sehnen sich die Menschen im Grunde genommen doch nach Liebe und Geborgenheit.
Klingt altmodisch, aber so ist es doch.


Pictures by David Lynch, art-magazin.de 

Keine Kommentare: